Urs Lengwiler ist Archivar und seit vielen Jahren von Amriswil beauftragt, das stadteigene Archiv zu betreuen. Im Interview erzählt er, wie man sich zwischen den unzähligen Akten zurechtfindet, was heute überhaupt noch archiviert wird und wie hiesige Vereine vom Archiv profitieren können.
Urs Lengwiler, was genau sind die Aufgaben eines Archivars?
Ein Archivar einer Gemeinde oder eines anderen staatlichen Organs soll das Verwaltungshandeln dokumentieren, sodass nachvollziehbar ist, was die Verwaltung gemacht hat. Das dient einerseits der Verwaltung selber, da sie bei ihrer Arbeit immer wieder auf Informationen aus abgeschlossenen Geschäften zurückgreifen muss. Andererseits dient es auch der Öffentlichkeit, der gegenüber die Verwaltung rechenschaftspflichtig ist. Und schliesslich ist ein Archiv auch für Leute da, die beispielsweise ein geschichtliches Interesse haben.
Wie wird man Archivar?
Früher lernte man das «On the Job». Meistens waren es Historikerinnen und Historiker, die diesen Weg einschlugen. Heute wird Archivistik als Schnittpunktdisziplin zwischen den Verwaltungswissenschaften und den Geschichtswissenschaften gesehen. Es gibt dazu spezielle Ausbildungsgänge beispielsweise an der Uni Bern oder der Fachhochschule Graubünden.
Speziell in Amriswil: Wofür sind Sie hier im Stadthaus genau verantwortlich?
Im Papierbereich bin ich primär für die Stadtkanzlei tätig. Abteilungen, die viele serielle Unterlagen produzieren (z.B. die Bauverwaltung) funktionieren weitgehend autonom. Im digitalen Bereich ist der Ansatz ganzheitlicher. Hier kommen z.B. bezüglich Umgang mit Daten und Aufbewahrungsfristen aus allen Abteilungen Anfragen.
Was findet man im Archiv im Keller des Stadthauses?
Dort befindet sich das Archiv der Stadtkanzlei, jene der ehemaligen Orts- und Munizipalgemeinden sowie diverse Vereinsarchive. Die Vereinsarchive gehören zwar nicht in den Kontext der Stadtverwaltung. Da es sich aber um stark verlustgefährdete Archive handelt, stellt die Stadt den notwendigen Platz zu deren Aufbewahrung zur Verfügung.
Wie lange müssen offizielle Schriftstücke einer Gemeinde in Papierform archiviert werden?
Wir befinden uns im Moment in einer Übergangszeit. Die Stadtverwaltung arbeitet teilweise mit Geschäftsverwaltungssystemen, die grundsätzlich eine rein digitale Datenhaltung erlauben würden. Allerdings sind teilweise noch Fragen zu klären, sodass gewisse Unterlagen noch auf Papier zu halten sind. Der Übergang zur rein digitalen Datenhaltung kann jedoch nicht von einer Gemeinde allein bewältigt werden. Hier gilt es zwischen den Gemeinden untereinander und auch zwischen Gemeinden und Kanton zu koordinieren.
Wie oft werden alte Dokumente tatsächlich auch Jahre später wieder gebraucht?
Das ist von Abteilung zu Abteilung verschieden. Die Bauverwaltung beispielsweise greift häufig auf ihr Archiv zurück. Bei anderen Abteilungen ist dies seltener der Fall. Da sind die Fragestellungen für Recherchen aber oft spezieller und nicht so routinebestimmt.
Was wird heute noch in Papierform archiviert und was bereits digital?
Auch das ist von Abteilung zu Abteilung verschieden. In der Stadtkanzlei ist das Papieraufkommen mit der Einführung eines modernen Geschäftsverwaltungssystems um 80 bis 90 % zurückgegangen. Das heisst aber nicht, dass diese Daten verloren gehen. Letztes Jahr haben wir dieses System an ein digitales Langzeitarchiv angebunden.
Ist eine Gemeinde verpflichtet, ein Archiv für Vereine bereitzustellen?
Nein. Die Gemeinde ist nicht verpflichtet dazu, denn die Vereinsarchive gehören nicht in den Kontext der Stadtverwaltung. Da es sich, wie erwähnt, um stark verlustgefährdete Archive handelt und sie eine völlig andere Perspektive auf das Leben in Amriswil geben als das Verwaltungsarchiv, stellt die Stadt den notwendigen Platz zu deren Aufbewahrung zur Verfügung und lässt diese Archive im Rahmen der normalen Archivbewirtschaftung auch erschliessen.
Welche Dokumente können Vereine im Stadthaus archivieren?
Interessant fürs Archiv sind beispielsweise GV- und Vorstandsprotokolle, Mitgliederlisten, Jahresberichte, Reiseberichte, sonstige Unterlagen zur Vereinstätigkeit, Jahresabschlüsse, Presseberichte und Fotos. Nicht übernommen wird der ganze Belegfluss des Kassiers sowie Vorräte von Drucksachen (ein Belegexemplar reicht aus). Weniger interessant sind auch Trophäen wie Kränze und Pokale. Diese gehören ins Vereinslokal und nicht ins Archiv.
Wie genau funktioniert das? Welche Prüfungen der Dokumente nehmen Sie vor? Was wird archiviert, was nicht?
Am einfachsten meldet man sich bei der Stadtkanzlei (a.mueller@amriswil.ch). Diese vermittelt dann den Kontakt mit mir. In einem nächsten Schritt nehmen wir mit dem Verein eine Grobbeurteilung des Bestandes vor und besprechen, was vom Archiv übernommen werden kann und was nicht.
Gibt es für die Vereine auch schon ein digitales Archiv?
Nein, das gibt es (noch) nicht. Die Frage nach einer digitalen Archivierung wird sich aber mittel- bis langfristig auch für Vereine stellen.
Wie können Vereine wieder auf die hier archivierten Unterlagen zugreifen?
Hier reicht es bei der Stadtkanzlei nachzufragen. Meistens sind es spezifische Fragestellungen (z.B. ein Jubiläum), die eine Recherche auslösen. Gerne unterstützen wir die Vereine auch bei Recherchen. Allein dürfen Vereine allerdings nicht ins Archiv, da dort auch datenschutzrelevante Unterlagen der Stadtverwaltung liegen. Es findet sich aber immer ein Weg für eine Recherche, sei dies begleitet, sei dies, dass man einen Arbeitsplatz in der Verwaltung zur Verfügung stellt, sei dies, dass man Dossiers aus dem Vereinsarchiv ausleiht.
Hat es aktuell noch Platz im Archiv für weitere Vereine?
Ja, es hat noch Platzreserven für Vereinsarchive.
Haben Sie vielleicht noch einige Tipps für einen Verein in Sachen Archivierung? Wie kann zum Beispiel entschieden werden, was wirklich wichtig ist und was vielleicht auch entsorgt werden soll?
Es hilft schon ungemein, wenn die Unterlagen schon bevor sie ins Archiv gelangen, sauber strukturiert und abgelegt werden. Empfehlungen, was archivwürdig ist und was nicht, existieren für den Kanton Thurgau nicht. Das Schaffhauser Staatsarchiv hat aber vor Jahren ein entsprechendes Merkblatt ausgearbeitet, das wir gerne zur Verfügung stellen. Für den Belegfluss gilt allgemein, dass er gemäss OR 10 Jahre aufbewahrt werden muss. In Spezialfällen kann eine längere Aufbewahrungsfrist sinnvoll sein. Dies gilt beispielsweise für Schützenvereine, solange die Kugelfänge der Schiessanlagen nicht saniert sind.