Der Wirtschaftsapéro Amriswil hat sich zu einer festen Grösse im Veranstaltungskalender der Stadt entwickelt. Mit dem Titel «Patient Deutschland» wurde vergangene Woche in diesem Rahmen ein Thema aufgegriffen, das aktueller kaum sein könnte. Was in Deutschland passiert, bleibt für die Schweiz nicht ohne Folgen. Deutschland ist nicht nur geografisch ein Nachbarland, sondern gleichzeitig der wichtigste Handelspartner unseres Landes. Ein Land mit enormer industrieller Kraft, mit einem riesigen Binnenmarkt und einer langen, gemeinsamen Geschichte mit der Schweiz – wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich. Im Moment erlebt man Deutschland als Land in Bewegung oder vielleicht auch als ein Land, das ins Straucheln geraten ist. Eine neue Regierung mit alten Herausforderungen, eine starke Industrie mit wachsendem Investitionsstau in Infrastruktur, Bildung und Digitalisierung, ein Land mit einer offenen Volkswirtschaft, aber mit internationalem Druck, der durch globale Krisen oder durch den Wettbewerb – insbesondere mit Asien oder Amerika – zunimmt. Deutschland wankt und das ist in der Schweiz zu spüren – bei den Lieferketten, im Export, bei der Planbarkeit von Projekten, oder auch beim Vertrauen in die Stabilität. «Höchste Zeit also, genau hinzuschauen und zu eruieren, was das für die hiesige Wirtschaft und für uns im Kanton Thurgau bedeutet – für unsere Unternehmen, für die Arbeitsplätze und damit auch für unsere Zukunft», so Stadtpräsident Gabriel Macedo.
Das Personal als Motor des Unternehmens
Mit Dr. Andreas Böhm, Dozent Universität St. Gallen, Peter Spuhler, Verwaltungsratspräsident Stadler Rail AG und Jérôme Müggler, Direktor IHK Thurgau, waren hochkarätige Gäste geladen. Durch den Abend führte der einstige SRF-Tagesschausprecher Stephan Klapproth. Der Anlass bot einige Einblicke in die grosse Politik, die Weltwirtschaft und gab Denkanstösse für die tägliche Arbeit und unternehmerische Entscheidungen. Die guten alten Wirtschaftstheorien seien futsch, die Gesetze der internationalen Politik durch den Überfall von Putin auf die Ukraine aus den Fugen geraten, sagt Klapproth. Nun gelte es, Mut zu haben, die grossen Fragen, die unser Schicksal bestimmen, neu anzugehen. Wie dies zum Beispiel Unternehmer Peter Spuhler macht, versuchte Klapproth während des Interviews aus ebendiesem herauszubekommen. So setzt Spuhler auf Teamarbeit, gutes Personal, die Abwägung technischer Entwicklungen und darauf, wo sinnvoll mitzugehen. Weiter setzt er Investitionen an den richtigen Orten an und lässt so Wachstum zu. Dabei ist der Motor eines jeden Unternehmens das Personal. Damit steht und fällt eine Firma. Schwierigkeiten, gute Mitarbeitende zu finden, habe Spuhler bislang nicht. «Es gibt nach wie vor leistungsorientierte, junge Fachleute mit einer guten Ausbildung und der Motivation, etwas im Leben zu bewegen», sagt er. Entscheidungen werden teamorientiert getroffen und diese dann konsequent umgesetzt. «Verschiedene Ansichten sollen angehört werden und in den Prozess einfliessen», so Spuhler weiter.
Eine ungewisse Zukunft
Angeheizt wurden die Gespräche durch das Impulsreferat von Dr. Andreas Böhm. Er nahm sich dem Thema «Patient Deutschland» an. Anhand von Grafiken erklärte er die Situation unseres Nachbarlandes. Ausgangspunkt seiner Diagnose: Das Geschäftsmodell Deutschland, das über Jahrzehnte zum Wohlergehen des Landes beigetragen hat, nun aber nicht mehr tragfähig zu sein scheint. Das zeigt sich deutlich an der Entwicklung des BIP. Dieses glich sich lange Zeit jenem der USA an, teilweise überholte es Amerika gar. Spätestens seit Corona aber tut sich eine gewaltige Schere zwischen den beiden Ländern auf. Die Produktivität in Deutschland ist stark zurückgegangen. Und auch der Exportmotor des Landes scheint nicht mehr so zu laufen, wie noch vor einigen Jahren. Direkte Auswirkung davon: Markante Stellenstreichungen bspw. bei Automobilherstellern. Dieser Abbau begann bereits mit Corona, hat nach dem Aufschwung etwas nachgelassen, schlägt jetzt aber wieder stark durch. Es wird also mehr aus Deutschland rausinvestiert, als in das Land investiert wird. «So wird auch zu wenig in die eigene Infrastruktur hineingesteckt. Zu lesen zum Beispiel beinahe täglich bei den Zuständen der Deutschen Bahn oder der Strassen», so Dr. Böhm. Verdeutlicht wird dies auch damit, dass Deutschland noch keine 15 Prozent aller Internetanschlüsse mit Glasfaserkabeln belegt hat. Die Digitalisierung wurde also auch deswegen verschlafen, weil keine vernünftige Infrastruktur bereitgestellt werde. Die Frage über die Zukunft des Landes stellt sich nun darin, ob Deutschland ein neues Geschäftsmodell entwickeln kann, das Land eine angemessene Migrationspolitik verfolge, es eine adäquate Führung habe und wie sich die öffentlichen Finanzen entwickeln, so Dr. Böhm abschliessend.